Federal Reserve: Easy Money (2024)

Eine Kolumne von Heike Buchter

Wer hat Angst vor der Inflation? Der Chef der US-Notenbank Jerome Powell tastet sich in unerforschtes Territorium vor.

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Die Welt blickt aufUS-Präsident Biden, den von ihm angeordneten chaotischen Rückzug ausAfghanistan und auf die wieder dramatisch steigende Zahl an Covid-Toten undInfizierten. Ein anderes Ereignis ist dabei in den Hintergrund getreten: dasTreffen der Notenbanker, das eigentlich immer Ende August in Jackson Hole inden Rocky Mountains stattfindet.

Geplant war nach demPandemiejahr 2020 wieder ein persönliches Erscheinen bei der alpinen Konferenz,doch kurzfristig wurde es wegen der steigenden Infektionszahlen wieder nurvirtuell abgehalten. Am vergangenen Freitag erschien schließlich der Mann aufden Bildschirmen der Teilnehmer, auf dessen Rede Investoren undWirtschaftslenker rund um den Globus seit Monaten gewartet hatten.

Er heißt Jerome Powell undwird von fast allen Jay genannt. Der 68-Jährige ist der Vorsitzende der FederalReserve Bank, der US-Notenbank. Die Frage, die er beantworten sollte: Wann wirddie Fed die lockere Geldpolitik beenden? Powell blieb in gewohnterNotenbankermanier eine eindeutige Ansage schuldig. Zwar deutete er an, dassdie Fed zumindest ihr Milliardenaufkaufprogramm für Staatsanleihen wohl nochdieses Jahr zurückfahren wird. Gleichzeitig sicherte er sich ab: Man werde dieweitere Entwicklung der Wirtschaft beobachten und entsprechend handeln. Damitlässt er sich alle Möglichkeiten offen.

Ein unbedachter Moment

An der Wall Street sprichtman bei solchen Gelegenheiten davon, die Fed drohe, den Investoren dasPunschglas aus der Hand zu nehmen. Damit wäre die Anlageparty, die trotz derPandemie fröhlich weiterging, erst einmal beendet. Welch große Angst vor deranschließenden Katerstimmung herrscht, zeigte sich im Sommer 2013, als derdamalige Fed-Chef Ben Bernanke in einem unbedachten Moment öffentlich machte,dass die Notenbank die Anleihekäufe reduzieren wollte, mit denen sie nach derKrise 2008 die Finanzmärkte unterstützt hatte.

Es brach eine Panik aus, diein der Wall-Street-Geschichte als "Taper Tantrum" einging. Einen solchenWutausbruch wegen des Entzugs des billigen Geldes wollen Powell und seineFed-Kollegen unbedingt vermeiden.

Die Voraussetzungen füreinen sanften Entzug sind allerdings denkbar schlecht. Unter Powells Führungbekämpft die Notenbank die ökonomischen Folgen der Corona-Krise und hat dabeiNeuland nicht so sehr betreten als vielmehr überrollt. Die Fed erfinde dieZentralbank neu, schrieb im vergangenen Jahr das sonst eher nüchterne WallStreet Journal.

In nur sechs Wochen senktenPowell und seine Kollegen damals die Zinsen auf null, sie kauften mehr oderweniger über Nacht für Hunderte Milliarden Dollar US-Staatsanleihen, halfen mitDollartransaktionen ausländischen Zentralbanken aus. Die Fed richtete neueKreditprogramme ein zur Unterstützung von "praktisch allem, das sich bewegt",wie es ein langjähriger Notenbanker formulierte: für Bundesstaaten, Städte undGemeinden, Haushalte und Unternehmen. Letzteres waren Dinge, die bis zu diesemZeitpunkt tabu waren.

Powell und sein Team hatteneine Blaupause für ihre Maßnahmen: das Vorgehen von Bernanke, der die Fed unddie US-Wirtschaft durch die Wirren der Finanzkrise und der Großen Rezessionsteuerte. Nur, dass die Fed 2020 das Programm nicht in zwei Jahren, sondern inzwei Wochen abspulte. In jenen Frühjahrstagen drohte die Pandemie nicht nur dieWirtschaft lahmzulegen, sondern zudem die Finanzmärkte zum Absturz zu bringen.Nachvollziehbar, dass die Nebenwirkungen und Folgen den Notenbanken in diesemMoment erst einmal egal waren.

Das Gespenst der Inflation

Jetzt befindet sich dieWirtschaft wieder auf Erholungskurs. Und es geht das Gespenst der Inflation um.So lange war Inflation kein Thema mehr, dass sogar unter Ökonomen sich schonder Glaube ausbreitete, sie werde nie wiederkehren. Doch einen Tag vor PowellsRede verkündeten Bidens Wirtschaftsexperten, sie rechneten im vierten Quartalmit einer Inflationsrate von 4,8 Prozent.

Im Mai hatte Bidens Teamnoch mit einer Preissteigerungsrate von zwei Prozent gerechnet. Grund sind vorallem Lieferengpässe. Bei seiner Rede vor den Notenbanken wiederholte Powellsein Mantra, die erhöhte Inflationsrate sei eine temporäre Erscheinung. DerSchaden sei größer, wenn die Fed sie jetzt – etwa mit höheren Zinsen – bekämpfeund die Preissteigerungen sich als kurzfristig herausstellten. Zu den Warnern,die Powells Sicht der Dinge für zu entspannt halten, gehört Larry Summers,Clintons einstiger Finanzminister.

Summers, der selbst immerauf den Chefposten bei der Fed gehofft hatte, sieht einen grundlegendenStrukturwandel am Werk. Vor allem am Arbeitsmarkt. Obwohl noch immer über achtMillionen Amerikaner arbeitslos gemeldet sind, suchen Arbeitgeber gleichzeitighänderingend nach Arbeitskräften. Fast zehn Millionen Stellen waren im Juliunbesetzt, so viele wie nie zuvor.

Summers erwartet deshalbDruck auf die Unternehmen, die Löhne zu erhöhen. Das wiederum würde dieInflation weiter antreiben.

Powells Lage ist nicht zubeneiden. Einerseits will der Fed-Chef die Finanzmärkte nicht erschüttern,andererseits kann er nicht tatenlos zusehen, wie die Preisspirale außerKontrolle gerät. Das könnte die Erholung unterminieren. Mit denCorona-Maßnahmen hat er die 108 Jahre alte Institution in unbekanntes Terraingeführt. Nach seiner Rede von Freitag zu urteilen, sucht Powell nun nachWegweisern, wohin die Reise gehen soll.

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